Wilhelmshaven soll zum Green Energy Hub werden
Im Seehafen Wilhelmshaven ist ein Umschlagplatz für synthetisches Methan, grünen Wasserstoff und CO2 geplant. Statt fossilem LNG soll künftig zunehmend „electric natural gas“ (e-NG) nach Wilhelmshaven importiert und im „Green Energy Hub“ weiterverarbeitet werden. Hinter dem Plan steht Tree Energy Solutions (TES) ein global agierendes Unternehmen für grüne Energie, das sich selbst als führend in der Produktion von strombasiertem Methan bezeichnet.
Um die Nachfrage nach grünem Wasserstoff in Deutschland zu decken, wird laut Nationaler Wasserstoffstrategie in Zukunft weit mehr als die Hälfte des Bedarfs importiert werden müssen. Der Aufbau von Importinfrastruktur ist daher ein wichtiger Baustein für den Wasserstoffmarkthochlauf. Neben transnationalen Pipelines können Schiffe gut speicherbare flüssige Wasserstoffderivate wie Methanol, aber auch „grüne Gase“ wie Ammoniak oder Methan in flüssigem Aggregatzustand nach Europa und Deutschland bringen. Der Schiffstransport ermöglicht Importe aus Weltregionen, die aus technischen und ökonomischen Gründen nicht per Pipeline angebunden werden können. Diese Flexibilität ermöglicht zugleich einen globalen Markt für CO2-neutrale Moleküle, auf dem Schiffsladungen, wie heute bei fossilen Energieträgern, frei handelbar sind. Die Importterminals, die infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Auftrag der Bundesregierung in sehr kurzer Zeit für konventionelles LNG (Liquefied Natural Gas) realisiert worden sind, sollen nach einem entsprechenden Um- und Ausbau ab den 2030er Jahren eine zentrale Rolle bei der Versorgung mit grünen Molekülen übernehmen.
Wilhelmshaven soll ein Knotenpunkt für grüne Gase und Wasserstoffderivate werden
Ein zweites schwimmendes LNG-Importterminal (Wilhelmshaven II) am Standort Voslapper Groden Nord 2 soll im Frühjahr 2025 seinen Betrieb aufnehmen. Nach den Plänen von TES soll es mittelfristig durch ein landseitiges Terminal, den Green Energy Hub, für den Umschlag von synthetischem Methan, CO2 und grünem Wasserstoff, ersetzt werden. Das neue Terminal soll über sechs Schiffsliegeplätze und einen direkten Zugang zu den Erdgas-, Wasserstoff- und CO2-Pipelinenetzen verfügen. Auf einem 153 Hektar großen Gelände sollen in mehreren Projektstufen eine Reihe von Anlagen erstellt werden, unter anderem Regasifizierungsanlagen, ein Oxyd Combustion-Kraftwerk zur Stromerzeugung aus grünem Methan, Elektrolyse-Einheiten zur Wasserstoffgewinnung sowie eine große Speichertankanlage. TES will die bestehende Energieinfrastrukturen nutzen, um vor allem Industriekunden mit grünem Wasserstoff, grünem Gas und grünem Strom zu versorgen und eine kreislauforientierte Kohlenstoffwirtschaft einzuführen. Laut eigenen Angaben entwickelt das Unternehmen derzeit Energieversorgungs- und Importzentren in Deutschland, Belgien, Frankreich, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten, um globale Versorgungsnetze aufzubauen.
Green Wilhelmshaven Terminal
Nicht weit davon entfernt, unweit des schwimmenden LNG-Importterminals Wilhelmshaven I, will der Energieversorger Uniper ab dem Jahr 2030 große Mengen des Wasserstoffträgers Ammoniak (NH3) verarbeiten. Grünes Ammoniak soll dann in großen Mengen mit Spezialschiffen an einen weiteren landbasierten Terminal angeliefert und in einer Cracking-Anlage zu Wasserstoff und Stickstoff aufgespalten werden (siehe dazu Uniper-Projekt Green Wilhelmshaven Terminal).

Energy Hub Wilhelmshaven: Der einzige Tiefwasserhafen an der deutschen Küste in Wilhelmshaven soll zu einer wichtigen Drehscheibe für den Import, Verarbeitung und Erzeugung von grünen Molekülen werden. Grafik: Wirtschaftsförderungsgesellschaft Wilhelmshaven mbH
Das TES-Vorhaben und das Uniper-Projekt sind die zentralen Bausteine des geplanten Energy Hub Wilhelmshaven, einer branchenübergreifenden Initiative zum Ausbau des Standortes, zu deren Mitgliedern unter anderem Amprion, Arcelor Mitteltal, BP, Gasunie, EON, Orsted, Salzgitter AG sowie TES und Uniper zählen.
Multi-Gas-Carrier transportieren flüssiges e-NG nach Wilhelmshaven
TES will sein so bezeichnetes „e-NG“ in speziellen Gastankern, sogenannten Multi-Gas-Carrier, in Wilhelmshaven anliefern. Dieses strombasierte Methan (auch als e-Methan oder Synthetic Natural Gas – SNG benannt) lässt sich über die Methanisierung von Kohlendioxid (CO2) gewinnen, bei der mit erneuerbaren Energien produzierter Wasserstoff und CO2 miteinander reagieren (vgl. Infokasten Herstellung von e-Methan mittels Sabatier-Verfahren). Das von TES für diesen Prozess eingesetzte CO₂, stammt entweder aus biogenen Quellen oder wird durch Direct Air Capture aus der Luft gewonnen. Der Wasserstoff kommt aus der Wasserelektrolyse mittels Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind- Solar- oder Wasserkraftanlagen.
Anfallendes CO2 landet wieder in den e-NG-Produktionsanlagen in Übersee
Das strombasierte grüne Gas soll laut TES anfangs vor allem in Texas (USA) produziert werden. Die US-Regierung fördere dies großzügig im Rahmen des Inflation Reduction Act (IRA). Weitere Produktionen sieht TES in Saudi-Arabien und Australien, also Regionen mit hohem Angebot an Solar- und Windenergie.
Am Energy Hub in Wilhelmshaven angekommen, wird das zum Transport verflüssigte Gas regasifiziert und in das Erdgasnetz eingespeist. Alternativ kann das e-NG direkt wieder in Wasserstoff und Kohlenstoff bzw. CO2 aufgespalten werden. Das anfallende CO2 wird verflüssigt und wiederum mit den Multi-Gas-Carriern zu den Produktionsstandorten zurückgebracht, um dort erneut zur Herstellung von e-NG eingesetzt zu werden. Ein geschlossener, CO2-neutraler Kreislauf würde entstehen, so TES. Die eigens zu diesem Zweck noch zu bauenden Gastanker hätten ein Fassungsvermögen von 100.000 Kubikmeter respektive Tonnen CO2 und würden damit zu den größten ihrer Art weltweit gehören.
Power-to-Gas: Herstellung von e-Methan mittels Sabatier-Verfahren
Grüner Wasserstoff auf Basis von erneuerbar erzeugtem Strom und recyceltes CO₂ werden unter Verwendung eines Nickel–Katalysators einer Temperatur von etwa 400 °C und hohem Druck ausgesetzt. Dabei kommt es zur sogenannten Sabatier-Reaktion, bei der Methan (CH4) und Wasser entstehen. Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas, chemisch unterscheidet sich E‑Methan davon nicht. Benannt ist der Methanisierungsprozess nach dem französischen Chemiker Paul Sabatier, der dafür im Jahr 1912 den Nobelpreis erhielt. Die chemische Gleichung für das exotherme Verfahren lautet: CO₂ + 4H2 → CH4 + 2H2O. Die eine Hälfte des Wasserstoffs landet im e-Methan, die andere im entstehenden Wasser. Dieses kann in den Elektrolyseur zurückgeführt werden, wodurch sich der Frischwasserverbrauch laut TES fast halbiert. Etwa 78 Prozent der Energie aus dem Methanisierungsprozess werden im e-Methan gebunden, der Rest wird als Wärme freigesetzt und in den Prozess zurückgeführt. So kann der Gesamtwirkungsgrad auf weit über 80 Prozent gesteigert werden, heißt es auf der TES-Website.
CO2-Netz für die Anbindung der Industriezentren geplant
Des Weiteren sehen die TES-Pläne vor, zusätzlich schwer und unvermeidbares CO2, das aus Kraftwerken oder der Industrie im Binnenland abgeschieden und verflüssigt wird, zunächst per Kesselwagen und später über Pipelines zum Energy Hub nach Wilhelmshaven und von dort per Schiff ins Ausland zu transportieren. Das Treibhausgas würde im Ausland in geologischen Endlagern entsorgt (CCS) oder energetisch genutzt (CCU), indem es an den
e-NG-Produktionsstandorten mit Wasserstoff zu synthetischem Methan verbunden und reimportiert würde. Ein strategischer Partner in diesem Kontext ist der Fernleitungsnetzbetreiber OGE. Das Unternehmen ist dabei mit verschiedenen Partnern ein CO2-Transportnetz aufzubauen, dass wichtige Industriekorridore Deutschlands verbindet. Mit dem Projekt „WHV CO2 Corridor“ plant OGE die zukünftige Energiedrehscheibe Wilhelmshaven auf einer Westroute mit dem Ruhrgebiet zu verbinden. Auf diesem Weg werden unter anderem die Zementregion Ostwestfalen, wie auch die Industrieregionen Ruhrgebiet mit Dortmund, Duisburg und Rheinland mit Düsseldorf und Köln mit den CO2-Exportoptionen in Wilhelmshaven verbunden. OGE geht derzeit davon aus, dass das CO2 in flüssiger Form bei einem Druck von mindestens 80-90 bar transportiert wird.
2044 sollen nur noch grüner Wasserstoff und e-NG angeliefert werden
Zu den Langfristzielen von TES gehört es, das Terminal in Wilhelmshaven bis 2044 vollständig zu dekarbonisieren. Dann sollen dort ausschließlich möglichst grüner Wasserstoff und e-NG umgeschlagen und von Industriekunden abgenommen werden. Gleichzeitig soll am Standort auch direkt grüner Wasserstoff hergestellt werden. Ein Partner für den Hochlauf der Elektrolysekapazitäten in Wilhelmshaven ist unter anderem der Oldenburger Regionalversorger EWE, der am Bau einer 500-MW-Anlage mitwirkt.
Wasserstoff-Hub: Was für den Standort Wilhelmshaven spricht
Wilhelmshaven ist Deutschlands einziger Tiefseehafen. Er liegt auf der Westseite der Jadebucht zwischen der Ems und der Weser und verfügt über einen direkten Zugang zu bestehenden Onshore-Windparks und geplanten Offshore-Standorten in der Nordsee. Damit bietet er den idealen Standort für Elektrolyseanlagen zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. Das Wilhelmshavener Terminal wird laut TES über einen direkten Anschluss an drei wichtige europäische Netze verfügen:
- Das bestehende europäische Hochdruck-Erdgasnetzwerk
- Das H2ercules Hydrogen Network
- Das OGE & TES CO₂-Transportnetzwerk
Weitere LNG-Terminalstandorte planen den Import grüner Moleküle
Neben Wilhelmshaven kommen auch die anderen LNG-Terminalstandorte Brunsbüttel, Stade sowie die Ostseestandort Mukran und Lubmin für die Umrüstung auf Wasserstoffderivate wie Methan oder Ammoniak infrage. Entsprechende Projektplanungen für diese Standorte gibt es. Von Seiten der Politik ist das auch so vorgesehen und im Rahmen des LNG-Beschleunigungsgesetzes mittel- bis langfristiges Ziel explizit festgelegt.
Synthetisches Gas könnte Transformation beschleunigen
Für Unternehmen und Versorger, die heute große Mengen Erdgas benötigen, könnte synthetisches Gas ein wichtiger Baustein für die Transformation hin zu Treibhausgasneutralität werden. Dass Methan aufgrund der identischen Molekülstruktur fossiles Gas vergleichsweise einfach ersetzen kann, gilt als Plus des neuen Energieträgers. Bei Tree Energy Solutions liest sich das so: „Dies macht es für unsere Kunden und Partner einfach und kosteneffizient, den grünen Wandel einzuleiten und zu beschleunigen. Die e-NG-Produktion nutzt ausgereifte, bewährte Technologien. Es sind keine größeren Aufrüstungen erforderlich, und die bestehenden Schiffe, Pipelines und Fabriken können e-NG schon heute nutzen.“ Kunden könnten ihren Kohlenstoffausstoß unmittelbar und ohne zusätzliche Umstellungskosten reduzieren.
Fachleute halten das TES-Vorhaben für überzeugend. „Mit dem Verfahren löst man Infrastrukturprobleme ohne zusätzliche Investitionen. Man kann einfach auf die etablierte Erdgasinfrastruktur zurückgreifen. Das ist ein enormer Vorteil“, so Prof. Dr.-Ing. Michael Sterner vom Institut für Energiespeicher (IFES) gegenüber dem Handelsblatt. Die Logistik für den Transport von reinem Wasserstoff sei viel aufwendiger und mache erhebliche Investitionen erforderlich. Das gelte insbesondere für den Transport von verflüssigtem Wasserstoff. Zudem sei die Effizienz der Methanisierung „beachtlich“. Sie liege bei über 80 Prozent.
Green Energy Hub soll 2027 in Betrieb gehen – wenn alles optimal läuft
Ursprünglichen Plänen zufolge sollte zum Jahreswechsel 2025/2026 das erste e-NG nach Wilhelmshaven geliefert werden. Bis 2030 sollte das Liefervolumen auf 5 Millionen Tonnen anwachsen. Dieser Zeitplan hat sich überholt. Der offizielle Betriebsstart des Green Energy Hub ist für jetzt 2027 anvisiert. Wie bei anderen großen Projekten mit Wasserstoffbezug dürften auch im Falle von TES/Wilhelmshaven die Rahmenbedingungen noch nicht so sein, das finale Investitionsentscheidungen (FID) wie ursprünglich geplant getroffen werden können.
Im März 2024 hat die Bundesnetzagentur zwar grünes Licht für das Vorhaben gegeben und für 20 Jahre ab Betriebsbeginn eine Kapazität von 15 Mrd. Kubikmetern im Jahr zugelassen. Und wenig später stellten internationale Großinvestoren TES weiteres Kapital zur Verfügung. Das Geld soll teils in den bereits genehmigten Bau des landseitigen LNG-Terminals, teils in geplante Produktionskapazitäten für synthetisches Methan fließen. Die endgültige Investitionsentscheidung von TES und Partnern, den Terminal in Wilhelmshaven zu bauen, steht bis dato allerdings noch aus.
Rechtliche Grundlagen für CO2-Management der Industrie fehlen
Wichtig in diesem Kontext dürfte sein, ob und wann die von der Bundesregierung beschlossene Novelle des Kohlendioxid-Speicherungs- und -Transportgesetzes (KSpTG) verabschiedet wird. Das Gesetz schafft die rechtliche Grundlage, damit die Industrie unvermeidbare Kohlendioxid-Emissionen überhaupt aktiv managen darf und dass CO2 im Kreislauf geführt werden kann. Denn bisher ist der Transport des Klimagases nicht zulässig. Der Transport von CO2 ist aber die Voraussetzung für die CO2-Abscheidung und die anschließende energetische oder stoffliche Nutzung als Rohstoff (CCU). Das KSpTG ist damit auch die Grundlage für den der Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur für den CO2-Transport. TES würde überdies aus betriebswirtschaftlichen Gründen gerne die unterirdischen Salzkavernen an der Nordseeküste für die Zwischenspeicherung nutzen, um den Transport an Land einerseits und auf See andererseits zeitlich entkoppeln zu können. Das geltende KSpTG verbietet allerdings auch die CO2-Speicherung (CCS).
Wasserstoffhochlauf braucht eine für die Industrie taugliche Regulierung
Das Beispiel Green Energy Hub steht für ein grundsätzliches Problem der Transformation von Energieerzeugung, Industrie und Verkehr hin zur Treibhausgasneutralität. Die Klimaschutzziele sind klar und die Unternehmen sowie Investoren sind auch bereit (und teileweise auch schon dabei), die Transformation umzusetzen. Sie brauchen allerdings langfristige Sicherheit für die anstehenden beträchtlichen Investitionen.
Momentan sind die regulatorischen und ökonomische Risiken (aufgrund fehlender verlässlicher Marktprognosen) vielen Unternehmen zu groß. Aus Sicht vieler Akteure der Wasserstoffwirtschaft gibt es regulatorische Hemmnisse (übermäßige Regulierung, inkohärente Regulierung auf EU-Ebene, unzureichende Förderpolitik sowie bestehende regulatorische Lücken entlang der gesamten Wasserstoffwertschöpfungskette. So lautet ein Ergebnis des H2-Marktindex 2024, einer von EWI (Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln) durchgeführten Befragung von Marktakteuren bezüglich der Entwicklung eines Wasserstoffmarktes in Deutschland. Besonders in der Wasserstofferzeugung und dem Transport sehen die Befragten Handlungsbedarf, den regulatorischen Rahmen weiterzuentwickeln.
AKTUELLE BEITRÄGE
Elektrifizierung reicht nicht
