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CO2 Management: Wie Emissionen zu Rohstoffen werden können

Um die Klimaschutzziele zu erreichen, ist es nötig, fossiles Öl und Gas durch Alternativen zu ersetzen. Wenn wir dazu CO-neutrale Kohlenwasserstoffe einsetzen, brauchen wir dazu – neben erneuerbarem Strom und Wasserstoff – zunehmend alternative Kohlenstoffquellen. Hier gewinnt die gezielte Abscheidung von CO an Bedeutung, zusätzlich zu Biomasse und Kunststoff-Recycling. Das ergibt auch im Hinblick auf eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft Sinn.

Wäre Kohlenstoff kein chemisches Element, sondern eine Marke, hätte sie wohl ein Imageproblem. Seine Verbindung mit Sauerstoff zum CO-Molekül (Kohlenstoffdioxid) dient vielfach als Symbol für den anthropogenen (menschengemachten) Klimawandel. Nicht ohne Grund wird auch die Wirkung anderer Treibhausgase in CO-Äquivalenten gemessen. Doch Kohlenstoff hat viele Facetten: In Form von Kohlenwasserstoffen, also chemischen Verbindungen von Kohlen- und Wasserstoff, ist er auch ein zentraler Baustein von biogenen, organischen Substanzen.

In fossiler Form bilden Kohlenwasserstoffe natürliche Vorkommen von Erdöl, Erdgas und Kohle. Technisch lassen sich verschiedene Kohlenwasserstoff-Moleküle mit unterschiedlichen Eigenschaften in speziellen chemischen Verfahren herstellen oder weiterverarbeiten. Doch bei der Verbrennung von fossilen Kohlenwasserstoffen, also der chemischen Reaktion mit Sauerstoff, entsteht neben Wasserdampf (H2O) eben auch CO als Treibhausgas. Daraus ergeben sich zahlreiche Herausforderungen.

Kohlenwasserstoffe werden auch zukünftig gebraucht

„Wir werden Kohlenwasserstoffe auch künftig in erheblichen Mengen benötigen“, sagt Dr. Lukas Wunderlich, Leiter Nachhaltige Industrie beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie – en2x. Durch höhere Energieeffizienz sowie die zunehmende

Elektrifizierung, etwa durch den vermehrten Einsatz von batteriebetriebenen Pkw und Strom-Wärmepumpen, wird der Bedarf zwar zurückgehen, dennoch wird nach Einschätzung von en2x rund die Hälfte des aktuellen Absatzes an Kohlenwasserstoffen auch über 2045 hinaus noch benötigt. Dann jedoch CO-neutral und aus erneuerbaren Quellen. Eine komplette Umstellung auf grün produzierten Strom erscheint weder machbar noch sinnvoll. Zur Orientierung: Deutschland deckt seinen heutigen Energiebedarf nur zu rund 20 Prozent mit Strom. Nahezu der gesamte Rest, also fast 80 Prozent, sind feste, flüssige und gasförmige Energieträger, also Moleküle – darunter vor allem Kohlenwasserstoffe.

Die Kohlenwasserstoffwirtschaft ist mit ihren Importstrukturen und heimischen Raffinerien nicht nur für die Energieversorgung von elementarer Bedeutung. Wichtig ist darüber hinaus auch die Produktion für die stoffliche Nutzung. Aus Mineralöl und Erdgas werden diverse Vorprodukte und Grundstoffe für die chemische Industrie und weitere Wirtschaftszweige gewonnen.

Ob Kunststoffe, Dämmmaterial, Kleber, Waschmittel oder Kosmetika: Eine Vielzahl an Alltagsprodukten wird so hergestellt. Als Energieträger werden Kohlenwasserstoffe auch künftig dort zum Einsatz kommen, wo eine Elektrifizierung praktisch nicht umsetzbar ist. Denn vor allem in flüssigem Zustand haben sie eine hohe Energiedichte und können einfach gespeichert, flexibel eingesetzt oder weiterverarbeitet werden.

Flüssige Kohlenwasserstoffe eignen sich so als Energiereserve. Auch, aber nicht nur für Krisenfälle. Sie bilden das Rückgrat einer resilienten Energieversorgung und können zudem dabei helfen, erneuerbare Energiepotenziale in weit entfernten Weltregionen für Deutschland nutzbar zu machen. Das ist wichtig. Denn etwa 70 Prozent der hierzulande verbrauchten Energie wird importiert. Und es ist absehbar, dass Deutschland langfristig auf Einfuhren angewiesen bleiben wird.

Als flüssiger Kohlenwasserstoff kann zum Beispiel mit erneuerbarem Strom produzierter grüner Wasserstoff auch über lange Strecken transportiert werden. „Wasserstoff ist leicht und flüchtig. Ein Transport zu Schiff erfordert, ihn bei niedrigen Temperaturen oder hohem Druck zu speichern. Wird der Wasserstoff dagegen zusammen mit Kohlenstoff in eine andere Molekülstruktur gebracht, verändern sich diese Eigenschaften zum Positiven“, erklärt Wunderlich. So erzeugte Wasserstoff-Derivate, etwa Methanol, können bei geringerem Druck und höheren Temperaturen als Wasserstoff gelagert werden. Das vereinfacht und vergünstigt ihren Transport.

Geschlossene Kohlenstoffkreisläufe schonen Klima und Ressourcen

Wasserstoff kann mittels Elektrolyse aus Strom und Wasser gewonnen werden. Doch woher sollen die benötigten Kohlenstoffmengen künftig kommen? „Die große Herausforderung besteht darin, diese ohne zusätzliche CO₂-Emissionen bereitzustellen und zu nutzen. Diese Aufgabe kann durch gezieltes ‚Carbon Management‘, also Kohlenstoffmanagement, gemeistert werden“, sagt Lukas Wunderlich.  

 Damit bei Produktion, Verwendung und Entsorgung kein zusätzliches CO₂ in die Atmosphäre emittiert wird, sei ein geschlossener Kreislauf erforderlich. Eine solche Kreislaufwirtschaft sorgt nicht nur für CO₂-Neutralität, sondern trägt dazu bei, Ressourcen zu schonen. „Bei der Nutzung von Biomasse schließen zum Beispiel die Pflanzen den Kohlenstoffkreislauf, weil sie das CO₂ zuvor durch Photosynthese aus der Atmosphäre gezogen haben. Kunststoffe zu recyceln ist eine weitere Option“, sagt Wunderlich. Dabei stoße das etablierte mechanische Recycling jedoch zunehmend an technische Grenzen. „Hier könnte künftig chemisches Recycling wichtige Beiträge leisten. Es ist heute allerdings noch nicht wettbewerbsfähig. Das sollte mit gezielten Anreizen geändert werden.“ 

 

CCU: CO2 kann man abscheiden und verarbeiten

Biomasse und das Recycling von Kunststoffen können auch zusammengenommen voraussichtlich nicht genug Kohlenstoff für künftige Bedarfe liefern. Daher gewinnt eine weitere Möglichkeit an Bedeutung: die CO₂-Abscheidung. Das Gas können Unternehmen nämlich direkt aus Industrieprozessen oder sogar aus der Luft gewinnen. Das Verfahren heißt Direct Air Capture, kurz DAC.  

 Anschließend lässt sich das abgeschiedene CO₂ zu den benötigten Produkten verarbeiten. Der Begriff dafür lautet Carbon Capture and Utilization (also Kohlenstoffabscheidung und -verwertung, kurz: CCU). „Im Rahmen von CCU kann mit abgeschiedenem CO₂ insbesondere in Kombination mit Wasserstoff eine Vielzahl an Produkten und Einsatzstoffen erzeugt werden, die heute noch auf fossilem Mineralöl basieren“, so Wunderlich. 

 Wird das CO₂ der Luft entnommen, entstehen auch dann bilanziell (also in der Gesamtrechnung) keine zusätzlichen CO₂-Emissionen, wenn die damit hergestellten Produkte verbrannt werden. Um langfristig einen Kohlenstoffkreislauf zu erreichen, ist deshalb das DAC-Verfahren zur CO₂-Abscheidung unverzichtbar. Das Potenzial ist groß. Jedoch handelt es sich um eine noch recht junge Technologie, die viel Energie benötigt. Bis Unternehmen sie in großem Maßstab einsetzen können, bietet es sich an, CO₂ aus Industrieprozessen zu nutzen.  

 „Es ist auch ökonomisch sinnvoll, erst einmal auf Biomasse und industrielle Punktquellen zurückzugreifen, statt CO indirekt durch DAC zu binden und so den Kreislauf zu schließen. Wenigstens solange es erlaubte Emissionen gibt, wie etwa im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems, sollte deshalb auch die Abscheidung des hoch konzentrierten CO aus Industrieprozessen bei gleichzeitigem Hochlauf der DAC-Technologie ermöglicht werden“, sagt Wunderlich.  

 Um grünem Wasserstoff zu erzeugen und CO abzuscheiden werden erhebliche Strommengen benötigt. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Einsatz (auch) dieser Technologien ist deshalb der Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung – und zwar weltweit. Gleichzeitig müssen die Treibhausgasemissionen von Industrieanlagen schon heute reduziert werden – und das möglichst schnell. 

CCS: Die Speicherung von CO2 ist eine erprobte Technik

Dafür kommt für bislang technisch und wirtschaftlich schwer vermeidbare Emissionen eine weitere Option in Betracht: die Abscheidung und dauerhafte Speicherung von CO₂, auch Carbon Capture and Storage (kurz: CCS). Laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) lässt sich CO grundsätzlich in erschöpften Kohlenwasserstoff-Lagerstätten oder salzwasserführenden Sandsteinschichten in Tiefen von mehr als 800 Metern speichern. Das liegt weit unterhalb der für die Trinkwasserversorgung genutzten Gesteinsschichten. Damit das CO von dort nicht nach oben entweichen kann, müssen laut BGR „überlagernde, gering durchlässige Barrieregesteinsschichten“ vorhanden sein.

Im „Sleipner-Projekt“, im Untergrund der Nordsee wird vor der Küste Norwegens bereits seit 1996 CO in industriellem Maßstab abgeschieden, transportiert und geologisch gespeichert. Dutzende weitere CO-Speicher wurden seitdem weltweit in Betrieb genommen. Unter der Nordsee gibt es der BGR zufolge viele untersuchungswürdige Gebiete für die CO-Lagerung. „Technisch ist die Speicherung von CO ausgereift und könnte zeitnah eingesetzt werden, um Emissionen zu mindern“, sagt Lukas Wunderlich. „Dies sollte jedoch nicht als Freifahrtschein für die Nutzung fossiler Rohstoffe gewertet werden.“

Sobald die technischen Lösungen und ausreichend erneuerbare Energien zur Verfügung stehen, können in Raffinerien und anderen Industrien entscheidende Prozesse klimaneutral umgestellt und auch neue CCU-Anlagen errichtet werden. In diesem Fall wird der Standort von einem CO₂-Erzeuger zu einem CO₂-Verbraucher.

In der Übergangszeit ist es jedoch definitiv sinnvoller, das CO₂ einzulagern, als es in die Atmosphäre zu emittieren. CCS bietet zudem perspektivisch die Möglichkeit, Negativemissionen zu erzeugen. Wenn zum Beispiel CO₂ bei der Verbrennung von Biomasse abgeschieden und gespeichert wird, oder in Verbindung mit einer zukünftig zunehmend ausgereiften DAC-Technologie. Fachleute sprechen hier auch von Carbon Dioxide Removal (CDR).

In den Berichten des Weltklimarats (IPCC) wird betont, dass CCS und CDR eine wichtige Rolle beim Klimaschutz spielen können; neben der Wiedervernässung von Mooren und Aufforstung. In Deutschland wurde CCS in der Vergangenheit politisch kontrovers diskutiert. Bereits unter der Ampelregierung wurden jedoch die Weichen neu gestellt. „Wir blicken mittlerweile auf viele Jahre der Erforschung, Erprobung und Anwendung der CCS-Technologie zurück. Mit diesem Erfahrungsschatz können wir heute sagen: Diese Technologie ist sicher. Risiken sind – wie die im Bergbau oder in der Chemieindustrie – managebar“, erklärte zum Beispiel der damalige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Februar 2024. Unter der aktuellen Bundesregierung wurde inzwischen eine Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes beschlossen. Das ermöglicht CCS auch hierzulande.

CO₂-Management erfordert eine Infrastruktur

Unabhängig vom Verwendungszweck muss CO von seiner Quelle hin zur Weiterverarbeitung oder langfristigen Speicherung transportiert werden. Hierfür ist eine entsprechende Infrastruktur erforderlich. Darunter ein CO-Leitungsnetz, das künftig Industrie-Cluster, Lagerstätten und Hafenterminals in Deutschland miteinander verbindet.

„Mittel­ bis langfristig ist der Transport per Pipeline die vielversprechendste Option. Zu Beginn wird es allerdings auch nötig sein, das CO₂ per Zug, Schiff oder Lkw zu transportieren. Naheliegend ist auch der Aufbau von CO₂-Hubs, die als Sammelstellen für mehrere kleine Emittenten dienen“, sagt Lukas Wunderlich. Da die nationalen Speicherstätten begrenzt sind und CCS gesellschaftlich weiterhin kritisch beäugt wird, gelten ausländische Lagerstätten, gerade in der dänischen und norwegischen Nordsee, als ein wichtiger Baustein für den CCS-Hochlauf.

Die Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes erweitert dieses zum Kohlendioxid-Speicherungs- und Transportgesetz und bietet die rechtlichen Voraussetzungen für den kommerziellen Leitungstransport und die kommerzielle Speicherung von CO. Ein möglichst frühzeitiger Beginn der Projekte ist aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums essenziell, da es zwischen sieben und zehn Jahre dauern kann, Transport- und Speicherinfrastrukturen aufzubauen. Diese werden aber bereits Anfang der 2030er Jahre benötigt, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen. „In der frühen Phase des CO-Netzaufbaus ist eine staatliche Unterstützung notwendig“, so Lukas Wunderlich. „Da es anfangs nur eine eher geringe Nutzerzahl geben dürfte, können die Investitionskosten nicht vollständig über Netzentgelte auf diese Nutzer umgelegt werden, weil sie sonst zu hoch wären.“

Als Lösung biete sich beispielsweise an, analog zum Wasserstoffnetz ein sogenanntes Amortisationskonto einzusetzen. Dieses würde mittels jährlicher Ausgleichzahlungen die entstehende Differenz überbrücken, die entsteht, wenn die Netzentgelte zunächst niedriger sind als sie aufgrund der Ausbaukosten sein müssten. Erhöht sich im Laufe der Jahre dann die Zahl der Nutzer, steigen die Einnahmen. Später auftretende Mehrerlöse könnten dann an das Amortisationskonto zurückgeführt werden, bis dieses wieder ausgeglichen ist.

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