Ohne Seehäfen keine Molekülwende
Die Energiewende ist nicht allein eine Frage von erneuerbarem Strom. In Zukunft wird Deutschland viel stärker als bisher auf den Import großer Energiemengen in Form von Molekülen angewiesen sein. Grüner Wasserstoff, Ammoniak, Methanol oder E-Fuels werden entscheidend dazu beitragen, fossile Brennstoffe abzulösen. Das gilt insbesondere für diejenigen Teile der Industrie oder des Verkehrs, die nicht oder nur teilweise elektrifizierbar sind.
Was dabei häufig unterschätzt wird: Diese grünen Moleküle erreichen uns nicht durch die Steckdose, sondern per Schiff über die deutschen Nord- und Ostseehäfen. Wer die Transformation Deutschlands zur Klimaneutralität ernst meint, muss die Seehafeninfrastruktur in den Fokus rücken. Ohne leistungsfähige Seehäfen gibt es keinen Markthochlauf grüner Moleküle – und damit keine Versorgungssicherheit für den Industriestandort Deutschland.
Seehäfen sind systemrelevant für die Molekülwende
Die deutschen Seehäfen spielen in der Energieversorgung schon heute eine tragende Rolle. Ein Großteil der fossilen Energieimporte – von Rohöl über Kohle bis hin zu LNG – wird über die Seehäfen abgewickelt. Dies sind die Orte, an denen grüne Energieträger in großem Stil anlanden, zwischengespeichert und weitergeleitet werden. Diese logistische Leistung muss auch in Zukunft, bei den neuen Energieträgern erbracht werden. Seehäfen sind Startpunkte für neue Wasserstoffnetze, bieten Standortvorteile für energieintensive Industrien und dienen als Bunkerpunkte für CO2-neutrale Treibstoffe in der Schifffahrt.
Zudem sind die deutschen Seehäfen Teil eines europäischen Logistiknetzwerks. Internationale Lieferketten, etwa für grüne Ammoniakimporte aus Chile oder Namibia, münden in den Nordrange-Häfen. Deutschland hat hier die Chance, sich als Drehscheibe für die grüne Energiezukunft Europas zu positionieren. Die Hafenwirtschaft kann – und will – diesen Wandel gestalten. Dafür braucht sie verlässliche politische Rahmenbedingungen. Ohne eine langfristige Finanzierung kann keine grüne Importinfrastruktur aufgebaut werden.
Fortschritte in den Seehäfen – was bereits passiert
Für die Hafenwirtschaft ist das Thema nicht neu. Zahlreiche Unternehmen investieren bereits jetzt in grüne Technologien, beteiligen sich an Pilotprojekten und treiben den Wandel aktiv voran. Der Hamburger Hafen testet gemeinsam mit Partnern die Nutzung von grünem Methanol als Schiffskraftstoff. In Wilhelmshaven entsteht ein Wasserstoff-Importterminal, das perspektivisch bis zu 10 Prozent des deutschen H2-Bedarfs decken könnte. Auch in Bremerhaven oder Rostock entstehen erste Anlagen für die Versorgung mit grüner Energie. Terminalbetreiber stellen ihre Geräte auf alternative Antriebe um, Hafenfahrzeuge werden elektrifiziert oder mit Wasserstoff betrieben. Auch bei der Nutzung von Wind- und Solarenergie zur Eigenstromerzeugung zeigt sich die Hafenwirtschaft innovationsfreudig. Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) ist außerdem Partner des EU-geförderten Projekts „H2-Derivatives@BalticSeaPorts“, das den Umschlag und Einsatz von Wasserstoffderivaten in den Ostseehäfen voranbringen soll.
Die Potenziale sind also da. Doch diese Fortschritte reichen nicht aus, wenn sie isoliert bleiben. Die Transformation der Seehafeninfrastruktur muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen und auf eine solide finanzielle Basis gestellt werden.
Infrastruktur als nationale Aufgabe begreifen
Die Nationale Hafenstrategie der Ampelregierung hat die Bedeutung der Seehäfen für Wirtschaft, Energie und Resilienz zu Recht anerkannt. Die neue Regierungskoalition muss die Umsetzung jetzt konsequent vorantreiben – mit klaren Zuständigkeiten, zügigen Verfahren und ausreichenden finanziellen Mitteln. Mit dieser Aufgabe dürfen die nördlichen Bundesländer nicht allein gelassen werden.
In den kommenden zehn Jahren beläuft sich der Investitionsbedarf für den im Zusammenhang mit der Energiewende notwendigen Aus- und Umbau der deutschen Hafeninfrastrukturen (z.B. Ammoniak-Importterminals, CO2-Exportterminals, Flächen für den Umschlag von Windenergieanlagen) auf bis zu 6,4 Milliarden Euro. Es muss dringend in Suprastruktur, Verkehrsverbindungen und Energieanlagen investiert werden, zusätzlich zu den erheblichen notwendigen Investitionen für den „klassischen“ Güterumschlag sowie für die Zeitenwende. Das sollte auch Beachtung finden, wenn es um den Einsatz der Mittel aus dem Sondervermögen Infrastruktur geht.
Sparen an der Infrastruktur wäre nicht nur wirtschaftspolitisch kurzsichtig, sondern auch sicherheitspolitisch fahrlässig. Eine resiliente Versorgung erfordert leistungsfähige, moderne und digital vernetzte Seehäfen. Gerade in Zeiten geopolitischer Unsicherheiten und gestörter Lieferketten braucht Deutschland robuste Einfuhrsysteme für kritische Rohstoffe und Energieträger. Die Seehäfen bilden hier das strategische Fundament. Zusätzlich schlägt der ZDS vor, Einnahmen aus dem Emissionshandel und aus Offshore-Wind-Ausschreibungen gezielt in die Hafeninfrastruktur zu reinvestieren. Das wäre ein starker Hebel für die Transformation.
Förderpolitik zukunftsfest machen
Neben einer ausfinanzierten Hafenstrategie braucht es gezielte Förderinstrumente, um den Markthochlauf grüner Moleküle zu unterstützen. Dazu zählen u. a. Programme zur Errichtung und Umrüstung von Umschlagsanlagen für grüne Moleküle wie Ammoniak, Methanol oder LOHC. Die Förderzeiträume solcher Programme müssen auf die langen Investitionszyklen in der Hafenwirtschaft abgestimmt sein. Gerätschaften und Anlagen sind oft 15 Jahre und länger im Einsatz. Kurzlaufende Programme fördern eher Unsicherheit als Innovation.
Auch die Entwicklung eigener Wasserstoffproduktionskapazitäten in Hafennähe sollte unterstützt werden. Die Kombination aus grüner Stromerzeugung durch Offshore-Wind und Elektrolyseanlagen vor Ort ist ein realistisches Szenario – wenn Flächen gesichert, Genehmigungen beschleunigt und Stromnetze ausgebaut werden. Zudem ist entscheidend, dass auch kleinere und mittlere Häfen Zugang zu Förderprogrammen erhalten. Eine ausgewogene Hafenlandschaft stärkt die Resilienz des Gesamtsystems.
Erforderlich ist auch die gezielte Unterstützung beim Aufbau einer leistungsfähigen Bunkerinfrastruktur für klimaneutrale Schiffskraftstoffe. Darüber hinaus braucht es Investitionshilfen für die Umstellung auf alternative Antriebe auf den Terminals sowie für die Ansiedlung hafenverwandter Produktionsanlagen. Ebenso wichtig wie maßgeschneiderte Förderprogramme sind praxisnahe Genehmigungs- und Sicherheitsvorgaben für neue Gefahrgutklassen, die sowohl Augenmaß als auch Beschleunigungspotenzial mitbringen.
Molekülwende braucht Hafenwende
Der Weg in die Treibhausgasneutralität ist ein Infrastrukturprojekt. Wenn Deutschland seinen Energiebedarf in Zukunft zu großen Teilen über grüne Moleküle decken will, dann führt kein Weg an den Seehäfen vorbei. Die Seehäfen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie stehen für Kooperation, Innovation und Umsetzungskraft. Doch sie können die Transformation nicht allein stemmen. Die Unterstützung der Politik ist gefragt – gerade mit Blick auf die Vorhaben in der neuen Legislaturperiode:
- Die Nationale Hafenstrategie muss mit Leben gefüllt werden.
- Die Finanzierung muss langfristig gesichert sein.
- Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen praxisnah gestaltet werden.
- Die Förderinstrumente müssen skalierbar, fair und strategisch ausgerichtet sein.
Die Molekülwende kann gelingen – wenn wir den Mut haben, unsere maritime Infrastruktur als das zu begreifen, was sie ist: ein strategischer Hebel für die Zukunft Deutschlands. Die neue Bundesregierung hat hier die Chance, die richtigen Weichen zu stellen.