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Biomasse wird als Energie- und Kohlenstoffquelle langfristig gebraucht

Unter der Annahme ausgereifter Technologien deuten aktuelle Potenzialstudien zur Biomasse darauf hin, dass eine signifikante Substitution von Mineralölprodukten durch die Nutzung von biogenen Abfällen und Reststoffen möglich ist. Gleichzeitig zeigt eine aktuelle Vergleichsanalyse des Deutschen Biomasseforschungszentrums, dass eine abschließende Bewertung des Gesamtpotenzials nachhaltiger Biomasse noch aussteht.

Die nachhaltige Erzeugung und Nutzung von Biomasse ist ein zunehmend wichtiger Baustein für die Versorgung der Sektoren Energie, Industrie, Verkehr und Gebäude mit CO2-neutralen Energieträgern sowie Einsatzstoffen für die Industrie. Ohne die Biomassenutzung können die nationalen und europäischen Zielmarken für Treibhausgasneutralität nicht erreicht werden.

Die Hälfte der im Jahr 2023 in Deutschland genutzten erneuerbaren Energie stammte aus Biomasse. Mit rund 255 TWh ist die Biomasse derzeit der wichtigste erneuerbare Energieträger in Deutschland und zugleich die bedeutendste Quelle für Kohlenstoff jenseits der fossilen Ressourcen. Verwendet werden neben der land- und forstwirtschaftlich bereitgestellten Biomasse (Brennholz/Hackschnitzel und Pflanzenöle) auch Abfälle und Reststoffe. Hierzu zählen gebrauchte Speiseöle und Fette, Alt- und Gebrauchtholz, Bioabfälle (z. B. aus Haushalten), Gülle/Festmist, Klärschlamm und Stroh.

Biomasse wird in fester, flüssiger und gasförmiger Form zur Strom- und Wärmeerzeugung und zur Herstellung von Brenn- und Kraftstoffen (Biofuels) genutzt. Neben der derzeitigen Hauptnutzung der Biomasse im Wärmesektor tragen Biokraftstoffe maßgeblich zur Emissionsminderung im Verkehr bei. Mit ihnen wird heute bereits der Einsatz von fossilem Erdöl und Erdgas verringert.

Biomasse als Rohstoffquelle für die Transformation

Da CO2-neutraler Wasserstoff und daraus synthetisch erzeugte Derivate frühestens ab 2030 in größeren Mengen zur Verfügung stehen werden, ist die Biomasse mittel- bis langfristig der bedeutendste Rohstoff für die Herstellung von CO2-neutralen Kohlenwasserstoffen als Kraftstoffe für den Verkehr und als Einsatzstoffe für die Industrie. Die Nutzung von Biomasse als Feedstock hat daher auch große Bedeutung für die Transformation von Raffineriestandorten. Insofern ist die Mineralölbranche unmittelbar von der politischen Regulierung der Biomassenutzung und zur künftigen Rolle der konventionellen und fortschrittlichen Biokraftstoffe betroffen.

Nachhaltige Biomassenutzung als unverzichtbare Voraussetzung

Die Biomasse zählt neben dem chemischen Kunststoffrecycling sowie der CO2-Abscheidung zu den wesentlichen alternativen Kohlenstoffquellen für die Transformation unserer Industrie. Mit Blick auf die Klimaziele 2030 und 2045 sind wachsenden Bedarfe bei der Biomassenutzung als Energie- und Kohlenstoffquelle in den Sektoren Verkehr, Industrie und Gebäude absehbar. Entscheidend für den künftigen Beitrag der Biomasse zur Defossilisierung der heute noch mineralölstämmigen Produkte ist deren Verfügbarkeit. Dazu sind Fragen zum Umfang des inländischen Biomassepotenzials und seiner Erschließung sowie zum Biomasseimport zu beantworten.

Zentrale Randbedingung dabei ist die Nachhaltigkeit. Die Bioenergien stehen vor allem wegen ihres Flächenbedarfs beim Anbau nachwachsender Rohstoffe in der Kritik, da eine Flächenkonkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelerzeugung besteht. Die Biomasseerzeugung muss zudem so erfolgen, dass soziale und ökologische Beeinträchtigungen vermieden werden. Erzeugung und Nutzung von Biomasse müssen den EU-Nachhaltigkeitsanforderungen gemäß Renewable Energy Directive (RED) entsprechen.

Nationale Biomassestrategie könnte energetische Nutzung einschränken

Nach den im Jahr 2022 vorgelegten Eckpunkten der Bundesregierung für eine Nationale Biomassestrategie (NABIS) soll das in der Renewable Energy Directive (RED) verankerte Leitprinzip der Kaskaden- und Mehrfachnutzung von Biomasse etabliert werden. Die stoffliche Nutzung mit langfristiger Kohlenstoffbindung (z. B. als erneuerbarer Grundstoff für langlebige Industriegüter oder als Baumaterial) erhält danach Vorrang vor der energetischen Nutzung. Letztere steht am Ende der Nutzungskaskade und soll sich auf anfallende Abfall- und Reststoffe konzentrieren. Zudem soll Biomasse zukünftig nur noch in nachhaltig verfügbaren Mengen (Mengenbegrenzung) und gezielter für den Klimaschutz und die Transformation bestimmter Wirtschaftszweige und Anwendungen eingesetzt werden (Sektorenbegrenzung, gezielte Allokation). In einer Raffinerie lassen sich jedoch energetische Produkte und Produkte für die stoffliche Nutzung in der Herstellung nicht vollständig trennen. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei der Gewinnung von Bioethanol und Biodiesel im Produktionsprozess oder durch die Verwertung der übrigen pflanzlichen Bestandteile Kuppelprodukte anfallen, etwa Futtermittel und Erzeugnisse für die Lebensmittelindustrie, organischer Dünger, Biogas sowie biogene Kohlensäure.

DBFZ-Analyse zu nachhaltigen Biomassepotenzialen für die Mineralölwirtschaft

Ein zentraler Ausgangspunkt für den aktuell sehr restriktiven Ansatz zur Biomassenutzung der Bundesregierung ist die Annahme begrenzter nachhaltiger Biomassepotenziale. Dabei lassen sich jedoch aus der bisherigen Forschungslage keine umfassenden Erkenntnisse zum insgesamt verfügbaren nachhaltigen Biomassepotenzial in Deutschland, in der EU und dem EU-Ausland ableiten. Um dessen Größe abschätzen zu können, hat das Deutsche Biomasseforschungszentrum (DBFZ) im Auftrag von en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie eine vergleichende Analyse zu Studien über die Potenziale der Biomasseverfügbarkeit erstellt.

In der DBFZ-Analyse werden die fünf Studien BioRest (2019) [1], Concawe (2021) [2], DBFZ Ressourcendatenbank (DBFZ-ResDB, 2019) [3], ENSPRESO (2015) [4] und Searle & Malins (2016) [5] betrachtet*. Der Fokus aller Studien liegt auf der Quantifizierung der Potenziale biogener Rest- und Abfallstoffe sowie Nebenprodukte. Zwei der Studien beziehen sich auf Deutschland, die anderen auf die Europäische Union, wobei nationale Potenziale (u. a. für Deutschland) getrennt ausgewiesen werden.

„Biomasse kann mittel- bis langfristig einen signifikanten Beitrag zur Substitution mineralöl-basierter Bereitstellungsketten für Kraftstoffe und sonstige Produkte leisten“, stellt das DBFZ-Expertenteam Karl-Friedrich Cyffka, Karin Naumann und Tom Karras in ihrem Analysefazit fest. Mit ausgereiften Konversionsverfahren ergibt sich laut Vergleichsanalyse ein Substitutionspotenzial, das aus der Umwandlung von biogenen Nebenprodukten, wie Stroh, Pressrückständen oder Pflanzenresten (z. B. Blätter, Stängel, Hülsen) sowie Abfall- und Reststoffe (z. B. Bioabfälle aus Haushalten, Gülle, Mist, Klärschlämme) vor allem zu Biomethan und Biomethanol resultiert. Je nach Studie könnten danach in Deutschland mit dem Bioenergiepotenzial 7 – 28 Prozent (in der EU: 10-45 Prozent) des Raffinerieoutputs von derzeit 100 Mio. Tonnen substituiert werden.

Laut DBFZ umfasst das Bioenergiepotenzial das technische Biomassepotenzial, „welches nicht stofflich genutzt wird und somit theoretisch der energetischen Nutzung zur Verfügung steht. Dabei sind bestehende energetische Nutzungen laut der Analyse „vermutlich Teil des Bioenergiepotenzials“ da diese nicht explizit quantifiziert werden. Beim mobilisierbaren technischen Potenzial sind laut DBFZ-Analyse drei bis neun Prozent (EU: acht Prozent) des derzeitigen Raffinerieoutputs substituierbar (jeweils bezogen auf den Energiegehalt). Das mobilisierbare technische Biomassepotenzial ergibt sich aus dem technischen Biomassepotenzial, welches aktuell weder energetisch noch stofflich genutzt wird. DBFZ: „Somit ist es das Biomassepotenzial, welches für neue Nutzungsoptionen mobilisiert werden kann.“

Optionen mit großem Substitutionspotenzial: Methanisierung und Methanolsynthese

Um die große Bandbreite und Komplexität technologischer Möglichkeiten zur Kraftstoffgewinnung aus Biomasse einzugrenzen, zeigt die DBFZ-Analyse lediglich eine mögliche Option des Substitutionspotenzials auf. Sie fokussiert auf Methanisierung und Methanolsynthese, also bereits weit entwickelte Technologien, die für die betrachteten Rest- und Abfallbiomassen geeignet sind. So kann der anaerobe Fermentationsprozesses (Biogas/Biomethan) für eine Vielzahl von Ressourcen eingesetzt werden. Auch die thermische Vergasung von holzartiger lignocellulosehaltiger Biomasse zu einem Synthesegas mit anschließender Methanolsynthese bietet breite Einsatzmöglichkeiten. Ein Großteil des ermittelten Substitutionspotenzials besteht daher aus Methan und Methanol.

Für Prozessketten bzw. daraus resultierende Produkte, die zwingend auf öl- und fetthaltige Ressourcen zurückgreifen müssen, steht laut Analyse derzeit nur ein sehr begrenztes inländisches Potenzial entsprechender Rest- und Abfallstoffe (Altspeiseöle und tierische Fette) zur Verfügung. Sie bilden daher nur ein kleines Substitutionspotenzial ab.

Verfahren und Prozesse müssen entwickelt werden

Grafik zu Optionen angepasster biomassebasierter BereitstellungskettenNach Einschätzung des DBFZ-Expertenteams ist eine direkte Substitution des Mineralöls innerhalb der etablierten Prozessketten somit derzeit kaum möglich. Nötig sei eine gezielte (Weiter-)Entwicklung geeigneter Verfahren und Prozessketten, um aus Biomassen, die für etablierte Raffinerieprozesse bislang ungeeignet sind, ein Biocrude (z. B. über Pyrolyse) gewinnen zu können. Eine zweite Möglichkeit besteht aus Sicht der Experten in der Anpassung der gesamten Bereitstellungsketten für biobasierte Energieträger und Produkte, damit diese Ketten stärker an den verfügbaren Ressourcen ausgerichtet werden können.

Grafik zu Klimazielen und Raffinerieproduktion

DBFZ-Analyse zeigt signifikante Unterschiede und Betrachtungsdefizite der Studien auf

Es gibt signifikante Unterschiede zwischen den fünf analysierten Biomassepotenzialstudien. Diese Unterschiede ergeben sich aufgrund der betrachteten Potenzialebenen, der Anzahl der betrachteten Biomassen, der Annahmen über die Mobilisierung und Nutzung der Biomassen sowie der verwendeten Datengrundlage und dem Bezugsjahr. Zudem werden die energetische und die stoffliche Biomassennutzung in den Studien in unterschiedlicher Tiefe betrachtet. Entsprechend groß sind die Bandbreiten hinsichtlich des Substitutionspotenzials für mineralölbasierte Produkte.

Da sich die Potenzialstudien auf Deutschland und/oder Europa beschränken, bleiben darüber hinaus Importpotenziale und die Folgen möglicher Kostenvorteile importierter Biomasse für das Angebot inländischer Biomasse unberücksichtigt. Auch sind mögliche (nachhaltige) Biomassequellen wie Agroforstwirtschaft, Zwischenfrüchte, Paludikultur oder Biomasse als Kohlenstoffquelle von keiner der Studien beleuchtet worden. Ebenso können Aussagen zur Nachhaltigkeit der Biomassepotenziale aus der Vergleichsanalyse nur begrenzt abgeleitet werden. Nach Ansicht des DBFZ-Expertenteams ist keine der relevanten Studien, die vermutlich auch als Basis für die Nationale Biomassestrategie dienen, vollumfänglich für die Nutzung von Biokraftstoffen gemäß Renewable Energy Directive (RED) verwertbar.

Studienlage lässt keine fundierte Abschätzung zum Biomassepotenzial für den Energiesektor

Die analysierten Studien können nicht abschließend die Frage beantworten, wie hoch das Biomassepotenzial für den Energiesektor im Kontext der Gesamtbioökonomie zukünftig sein wird. Es fehlt an einer perspektivischen Bedarfsentwicklung in allen Sektoren. Entsprechende Ansätze in den bestehenden Potenzialstudien sollten weiterentwickelt werden, um fundiertere Aussagen treffen zu können, wie viel Biomasse für die Substitution fossiler Mineralölprodukte zur Verfügung steht. Dabei sollten auch vielfältig nutzbare Produkte (z. B. Methanol, Ethanol, Syntheseprodukte, paraffinische Produkte) aus „Multiproduktanlagen“ (erneuerbaren Raffinerien inkl. Hybridkonzepten) berücksichtigt werden.

Was bedeuten die DBFZ-Ergebnisse für die künftige Nationale Biomassestrategie?

Aus Sicht von en2x müssen neben Elektrifizierung und Wasserstoffhochlauf alle Potenziale nachhaltiger Biomasse für die energetische und stoffliche Nutzung erschlossen werden, damit die THG-Minderungsziele erreicht werden können. Deshalb müsse die Bundesregierung in der Nationalen Biomassestrategie der Erschließung von bisher ungenutzten nachhaltigen Rohstoffpotenzialen, z. B. von biogenen Abfällen und Reststoffen, größere Bedeutung beimessen und umfassendere wissenschaftliche Untersuchungen zu diesen Potenzialen initiieren und nutzen. Die Biomassenutzung für energetische Zwecke deutlich zu begrenzen, sei aufgrund der unzureichenden Erkenntnis- und Forschungslage zu den nachhaltigen Biomassepotenzialen offensichtlich nicht gerechtfertigt. Zudem hält en2x es für erforderlich, die Biomassenutzung auf globaler Ebene in der Biomassestrategie stärker zu berücksichtigen, etwa die internationale Entwicklung der Rahmenbedingungen und Ambitionen bei der Erzeugung und Nutzung von Biomasse sowie den Handel mit Biomasse und Biokraftstoffen. Zur en2x-Einordnung der Analyseergebnisse siehe auch en2x-Handout „Nachhaltige Biomasse für die energetische Nutzung“.

Zur Vertiefung in die Materie:
DBFZ-Vergleichsanalyse zu nachhaltigen Biomassepotenzialen für die Mineralölwirtschaft (Kurzbericht, pdf)
en2x-Handout „Nachhaltige Biomasse für die energetische Nutzung“ (pdf)

*Von DBFZ analysierte Studien:

1) Fehrenbach H, Giegrich J, Köppen S, Wern B, Pertagnol J, Baur F, Hünecke K, Dehoust G, Bulach W, Wiegmann K (2018) BioRest: Verfügbarkeit und Nutzungsoptionen biogener Abfall- und Reststoffe im Energiesystem. (Strom-, Wärme- und Verkehrssektor). Abschlussbericht, Dessau-Roßlau.
2) Panoutsou C, Maniatis K (2021) Sustainable biomass availability in the EU, to 2050. Ref: RED II Annex IX A/B, London.
3) DBFZ Ressourcendatenbank Version 2.0. Deutsches Biomasseforschungszentrum.
webapp.dbfz.de. Zugegriffen: 11. Dezember 2023.
4) Ruiz P, Sgobbi A, Nijs WN, Thiel C, Dalla Longa F, Kober T, Elbersen B, Hengeveld G (2015) The JRC-EU-TIMES model. Bioenergy potentials for EU and neighbouring countries. EUR, Scientific and technical research series, Bd 27575. Publications Office, Luxembourg.
5) Searle SY, Malins CJ (2016) Waste and residue availability for advanced biofuel production in EU Member States. Biomass and Bioenergy 89:2–10.doi:10.1016/j.biombioe.2016.01.008.

Quelle: Karl-Friedrich Cyffka, Karin Naumann, Tom Karras (alle DBFZ Deutsches Biomasseforschungszentrum) Endbericht: Bio2x | Vergleichende Analyse zu nachhaltigen Biomassepotenzialen für die Mineralölwirtschaft Kurzpapier im Auftrag des Wirtschaftsverbandes Fuels und Energie e. V. (en2x) Dez. 2023

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